Kritik von Klassik.com

Im Streichquartett C-Dur WoO37 scheint Ries ganz von seinem Lehrer Beethoven inspiriert.

Der Bonner Komponist Ferdinand Ries galt lange Zeit als einfacher Beethoven-Epigone und wurde von der Nachwelt schnell vergessen. Zwar war sein Leben tatsächlich eng mit dem des umjubelten Titanen verbunden, doch ging das Schaffen von Ries weit über ein bloßes Imitieren von erfolgreichen Kollegen hinaus. Sein weitgefächerter Werkkatalog zeigt einen vielseitig interessierten Musiker, der sich in allen wichtigen Gattungen auskannte und mit den musikalischen Konventionen umzugehen wusste.

Ries wurde 1784 in Bonn geboren. Sein Vater war als Geiger an der dortigen Hofkapelle angestellt und unterrichtete nebenher als Musiklehrer nicht nur seinen kleinen Sohn, sondern auch den jungen Beethoven. Doch schon mit zehn Jahren musste Ries seine musikalischen Studien alleine und autodidaktisch fortsetzen, denn der Einmarsch der französischen Revolutionsarmee zwang seinen Vater nach der Auflösung der Kapelle als Gutspächter und Steuereinnehmer zu arbeiten. Ries begann deshalb, sich das Komponieren selbst beizubringen. Alles, was er an Noten bekommen konnte studierte er höchst gewissenhaft und betätigte sich als Notenkopist. So lernte er unter anderem die Streichquartette von Haydn und Mozart kennen und schätzen. Nachdem er einige Zeit in München gelebt hatte, machte er sich auf, um Beethoven in Wien zu besuchen. Dieser empfing ihn herzlich und stellte ihn als Notenkopist und Sekretär vier Jahre lang ein. Im Gegenzug bekam Ries von ihm Klavierunterricht. In Komposition hingegen wurde er von Johann Georg Albrechtsberger unterwiesen, der damals als bester Kompositionslehrer Wiens galt.

Von den ca. 26 Streichquartetten, die Ries schrieb, hat das auf historischen Instrumenten musizierende Schuppanzigh Quartett nun die Werke WoO37 und WoO10 für das Label cpo neu eingespielt. Das Label cpo machte sich schon mit einigen sehr guten Ries Aufnahmen um den heute oft vergessenen Komponisten verdient und wird in den nächsten Jahren einige seiner kammermusikalischen Werke herausbringen. Es ist also zu hoffen, dass dabei noch so mancher musikalische Schatz gehoben wird und Ries endlich eine gerechte Würdigung durch die Nachwelt erfährt. Auch die Musiker des Schuppanzigh Quartetts versuchen in ihrem Repertoire immer wieder mit Neuentdeckungen zu überraschen. Für die vorliegende CD haben sie deshalb zwei Stücke ausgewählt, die bisher nicht im Druck erschienen waren. Das ältere der beiden, WoO10, entstand im Jahr 1805 gegen Ende der Lehrzeit bei Beethoven. Ries versucht hierin klassische Formmodelle mit neuen musikalischen Entwicklungen zu verbinden. Er benutzt traditionelle Kadenzformeln, um thematische Mikrostrukturen herauszuarbeiten. Ebenso konsequent verzichtet er auf ein eigentliches Thema und konzentriert sich ganz auf das analytische Zerlegen von Binnenmustern. Die Satzfolge übernimmt er von Haydn und verweist bei aller Experimentierfreude auf die klassischen Vorbilder der Gattung.

Im Streichquartett C-Dur WoO37 scheint Ries ganz von seinem Lehrer Beethoven inspiriert. Ähnlich wie in dessen Streichquartett op.59 beginnt das Werk mit einer schrittweise aufwärts führenden Melodie im Cello. Doch Ries wagt dann einige radikale Schritte. Er unterbricht die eigentlich achttaktige Periode durch eine gewagte Modulation in eine entfernte Tonart. So ist die Stabilität des Hauptthemas nur von kurzer Dauer. Ries spielt gekonnt mit den Resten des thematischen Materials ohne ein zweites Thema zu entwickeln. Im Schlusssatz überrascht er durch eine große motivische Dichte, die, bedingt durch die Regeln des Rondothemas, dem Werk einen harmonisch stabilen Schluss schafft.

Das Schuppanzigh Quartett weiß in seiner Interpretation der beiden Werke gekonnt mit der Riesschen Tonsprache umzugehen. Sie verlieren auch in höchst differenzierten Passagen niemals den Blick für das Ganze. Von der historischen Aufführungspraxis in perfekt analytischer Lesart geschult, spielen die vier Musiker mit viel Spielfreude und Engagement. Sie gehen einfühlsam aufeinander ein und arbeiten den Ideenreichtum der Werke liebevoll heraus.

Kritik von Christiane Bayer, 01.04.2006